Oktober 29

Kindheitsträume und warum wir Nashörnern das Horn absägen

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Von Matthias Wichelhaus am Oktober 29, 2018

Was ist Ihr großer Traum? Ein Auto? Eine Reise? Die Liebe? Viele von uns vergessen im Alltag zu träumen. Der Trott erlaubt uns oft nur bis zum nächsten Tag oder zur nächsten Woche zu denken, vielleicht bis zum nächsten Urlaub. Doch wo bleibt der schlummernde Traum, der große Schritt, die lebensverändernde Erfahrung – all das, was wir letztendlich doch nie machen und was uns unser Leben lang im Kopf rumschwirrt?

Damals, es muss in den frühen neunziger Jahren gewesen sein, attestierte meine Grundschullehrerin auf meinem Zeugnis neben mittelmäßigen bis guten Noten, dass ich ein Träumer sei. Stand ich damals vor meinen Eltern leicht beschämt da, erfüllt mich ihre – meiner Meinung nach – wache Observation heute mit Stolz. Über zwanzig Jahre später habe ich mir tatsächlich einige meiner Kindheitsträume erfüllt, darunter ein Jahr in Australien, eine Ranger-Ausbildung im Busch oder ein Praktikum am Flughafen von Los Angeles. Einer meiner größten Wünsche sollte jedoch noch viele Jahre auf sich warten lassen: Live bei einer Nashorn-Enthornung dabei zu sein. Die grauen Riesen waren schon immer meine Lieblingstiere und sie hautnah in der Wildnis zu erleben, sie vielleicht sogar zu berühren, das spielte sich höchstens in meinem Kopf  ab – während einer National-Geographic-Doku versteht sich.

Vor kurzem war es dann soweit. Gemeinsam mit elf weiteren Kollegen und unter Leitung unserer Partnerorganisation Wildlife ACT hatte ich das Glück, Teil einer Naturschutz-Expedition in Südafrika zu sein. Wildlife ACT ist besonders aktiv beim Schutz von Nashörnern, aber auch anderen Arten wie Afrikanischen Wildhunden und Geiern. Wir machten uns auf den Weg in die nordöstliche Provinz KwaZulu-Natal; ein zweistündiger Flug von Kapstadt nach Durban, gefolgt von einer dreistündigen Autofahrt.

Rhino-Africa-Mitarbeiter: Ankunft in Durban
Rhinos helfen Rhinos: Ankunft in Durban

Der Tag der Enthornung

Es ist 5 Uhr morgens und der Wecker klingelt. Im Halbschlaf geht es in Richtung Hauptgebäude unserer Lodge. Der Busch erwacht und die Vögel sind schon ganz fleißig in ihrer morgendlichen Kommunikation, die Feuchtigkeit der Nacht lässt die Vegetation duften und wir stärken uns mit Kaffee – in meinem Fall heißer Schokolade – und sogenannten Rusks, der südafrikanischen Version des Zwiebacks. Wir machen uns auf den Weg und erreichen nach circa 20 Minuten Fahrt eine erhöhte Lichtung mit Weitblick über die Umgebung.

Rhino-Africa-Mitarbeiter auf einer Naturschutz-Expedition
Aufgeregte Gesichter auf dem Weg zur Enthornung

Hier treffen wir neben weiteren Helfern auf die Reservats-Managerin und den Tierarzt. Beide geben uns eine interessante Einführung über die Hintergründe der Nashorn-Enthornung im Allgemeinen und unserer Aktion im Speziellen. So beschreibt Karen, die Managerin, das Enthornen von Nashörnern als Aufschub von Zeit, keinesfalls als Lösung der Wilderei-Krise im südlichen Afrika.

Karen gibt eine Einführung
Die Reserve-Managerin Karen gibt eine Einführung

Nashorn-Horn ist aus der gleichen Konsistenz wie menschliches Haar oder Fingernägel. Dennoch glauben viele Menschen zum Beispiel in Vietnam, China und Thailand, dass das Horn Heilmittel gegen Krebs ist oder die Libido oder gar Potenz stärkt. Andere sehen es schlicht und einfach als Prestigeobjekt und prahlen damit im Nachtclub – vergleichbar mit Kokain oder der Magnumflasche Champagner im westlichen Nachtleben. Solange dieser Irrglaube besteht, sind jährlich tausende Nashörner gefährdet. Große Kartelle bestimmen das Geschäft, die die Armut und Arbeitslosigkeit in Afrikas ländlichen Regionen zu ihrem Zwecke nutzen. Für die Bevölkerung, die angrenzend an Nationalparks und Reservate wohnt, sind ein paar tausend Rand ein kleines Vermögen. Meist kennen sie sich gut im Busch aus und sind daher ideale Wilderer. Mittlerweile hat die Auseinandersetzung zwischen Wilderern und Naturschützern bürgerkriegsähnliche Zustände angenommen. Beide Seiten sind bis auf die Zähne bewaffnet und ständig werden neue Methoden, die grauen Riesen zu schützen, diskutiert. Deshalb ist die Enthornung nur ein Kampf auf Zeit. Die Hörner der Tiere wachsen jährlich vier bis fünf Zentimeter, sie müssen also regelmäßig entfernt werden und das kostet Geld; ungefähr 1000 US-Dollar pro Aktion.

Nashorn-Horn: Wertvoller als Gold
Ein Rhino-Horn: Die gleiche Konsistenz wie Menschenhaar

Ein immer lauter werdendes Schmettern in der Luft unterbricht Karen, während sie uns den groben Ablauf der Aktion erklärt. Am Horizont erscheint ein Hubschrauber, der nach wenigen Minuten circa 50 Meter von uns entfernt landet. Dieser ist notwendig, um die Kolosse aus der Luft ausfindig zu machen und zu betäuben. Der Tierarzt erklärt uns noch schnell, dass nur ein Tropfen des Betäubungsmittels für den Menschen tödlich ist und bittet uns vom Rumpf, wo der Pfeil normalerweise eindringt, fernzubleiben. Und schon springt er in den Hubschrauber, um gemeinsam mit dem Piloten Ausschau nach potentiellen Nashörnern zu halten.

Zahnarzt und Pilot halten Ausschau nach Nashörnern
Per Hubschrauber wird Ausschau nach Nashörnern gehalten

Jetzt heißt es für uns warten und dennoch jederzeit bereit sein, ebenfalls in den Geländewagen zu springen und zum Ort des Geschehens zu fahren. Schon nach einigen Minuten sehen wir, wie Karen aufgeregt in ihr Funkgerät spricht. Sie haben wohl ein Breitmaulnashorn entdeckt. Aber anscheinend ist das Terrain nicht ideal für eine Betäubung; das Tier könnte sich beim Fall verletzen. Außerdem stellt sich heraus, dass es ein Muttertier mit jungem Kalb ist, was die Enthornungs-Aktion generell verkompliziert. Doch wenig später haben wir wieder Glück: diesmal ist es sogar ein Spitzmaulnashorn, die deutlich seltenere Art, was dieses Erlebnis ganz besonders macht. Schnell springen wir auf den Truck.

Eine Rettungsaktion unter Hochdruck

Jetzt ist es also soweit. Ich erlebe diese prähistorische Kreatur, die mich schon mein Leben lang fasziniert, hautnah. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich werde die einmalige Chance haben, ein wildes Spitzmaulnashorn, wovon es nur noch zwischen 5040 bis 5458 auf dieser Erde gibt, anzufassen. In diesem Moment wird mir bewusst, wie sehr sich unsere Lebenswege ändern können, trotz Planung und bestimmten Vorstellungen. Nie hätte ich mir das erträumen lassen.

Nach kurzer Fahrt halten wir im kniehohen Gras, umgeben von niedrigen Akazien und Dornengebüsch. Wir laufen schnell, aber behutsam auf die graue Wölbung am Horizont zu. Niemand spricht in diesem Moment, jeder ist einfach nur gespannt. Wir erreichen das Nashorn, dessen Augen bereits mit einem Tuch abgedeckt sind. Nashörner haben eine sehr schlechte Sicht, können dafür aber ausgezeichnet riechen und hören. Das Tier ist zwar betäubt, dennoch atmet es langsam und zuckt hin und wieder. Die anderen Helfer bringen das bis zu 1,6 Tonnen schwere Tier in Position.

Fünf Männer helfen, ein betäubtes Spitzmaulnashorn auf die andere Seite zu drehen
Spitzmaulnashörner werden bis zu 1,6 Tonnen schwer

Jetzt werden wir aktiv; wir helfen dabei, Blutproben zu nehmen, das Horn abzumessen und nach Verletzungen oder Krankheitsbildern Ausschau zu halten. Mein Kollege Abel durfte sich beim sogenannten Notching versuchen, dem Einkernen von Nashorn-Ohren, um das Tier später identifizieren zu können.

Einkerbungen helfen mit der Identifizierung
Abel markiert das Nashorn

Nach fünf Minuten startet der Tierarzt die Kettensäge. Was auf den ersten Blick brachial wirkt, ist die einzige Möglichkeit, die mächtige Waffe des Nashorns zu entfernen und bereitet dem Tier keine Schmerzen. Der Fachmann weiß genau, wo er ansetzen und aufhören muss. Die Späne fliegen in alle Richtungen – sie werden anschließend begraben oder manchmal sogar verbrannt. Ein Kilogramm Nashorn-Horn ist wertvoller als Gold, dementsprechend dürfen selbst Überreste Wilderern nicht den Anreiz geben, in die Reservate oder Parks einzudringen. Das zweite und kleinere Horn ist dran, bevor unsere Zeit langsam, aber sicher abläuft.

Mit Kettensäge zum Schutz der Nashörner
Der Tierarzt sägt die Hörner ab

Nach 20 Minuten ist die Aktion vorbei. Schnell ziehen wir uns zum Fahrzeug zurück und treten den Heimweg an, während der Tierarzt und seine Helfer in der Nähe des Nashorns warten. Wenige Minuten später erwacht es und torkelt noch etwas unsicher davon. Diese Enthornung ist nur eine von vielen und mag ein kleiner Erfolg im erbitterten Kampf gegen die Wilderei gewesen sein, doch für mich war es eine unvergessliche und ernüchternde Erfahrung.

Rhino Africa auf Nashorn-Expedition
Unsere Gruppe mit dem enthornten Tier

Die Erfüllung kleiner Träume kann gesammelt eine große Wirkung haben. Auch Sie können aktiv werden und Ihren eigenen Beitrag leisten, indem Sie an einer dieser einzigartigen Naturschutz-Expeditionen teilnehmen. Kontaktieren Sie uns jetzt für mehr Informationen!


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Über den Autor

Matthias Wichelhaus

Zwischen Wäldern und Wiesen im beschaulichen Gummersbach bei Köln aufgewachsen, packte Matthias schon früh die Reiselust. Nach dem Wirtschaftsstudium in England und Stationen in den USA, Australien und Dubai tauschte er Schreibtisch gegen Safari und wurde Ranger in Südafrika. Heute teilt er sein Expertenwissen und seine Begeisterung für Afrika mit der ganzen Welt von Kapstadt aus.

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